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Die Rolle des Geschlechts bei der P/CVE-Arbeit

Im Jahr 2015 hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nation in der Resolution 2242 die Berücksichtigung nicht nur von Frauen, sondern von Geschlechterfragen als Querschnittsthema für Praktiken zur Prävention und Bekämpfung des gewaltbereiten Extremismus (P/CVE) gefordert. Dem Aufruf des sogenannten Islamischen Staats an Frauen in der ganzen Welt, sich dem Kalifat anzuschließen, sind Tausende nachgekommen. Dies hat EntscheidungsträgerInnen in der Politik vor Augen geführt, welch grundlegende Rolle Frauen im Terrorismus einnehmen und wie dringlich es ist, geschlechtsspezifische Maßnahmen zu ergreifen, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken.

Weshalb ist der 8. März, der Internationale Frauentag, von Bedeutung? Mittlerweile ist es selbstverständlich geworden, Frauen bei den Themen Radikalisierung, Terrorismus und Extremismus nicht außer Acht zu lassen. Im Jahr 2015 hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nation in der Resolution 2242 die Berücksichtigung nicht nur von Frauen, sondern von Geschlechterfragen als Querschnittsthema für P/CVE-Praktiken gefordert. WissenschaftlerInnen, die im Bereich Gender tätig sind, weisen seit Jahren auf die Rolle von Frauen in Gruppen wie u. a. den Liberation Tigers of Tamil Eelam oder al-Quaida hin.

Aber dennoch nimmt dieses Thema in Maßnahmen und Diskussionen zur Terrorismusbekämpfung nach wie vor eine untergeordnete Rolle ein. Dem Aufruf des sogenannten Islamischen Staats an Frauen in der ganzen Welt, sich dem Kalifat anzuschließen, sind Tausende nachgekommen. Dies hat EntscheidungsträgerInnen in der Politik vor Augen geführt, welch entscheidende Rolle Frauen im Terrorismus spielen und wie dringend geschlechtsspezifische Maßnahmen ergriffen werden müssen, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken.

Die Politik und die Forschung muss die Beteiligung von Frauen in extremistischen Gruppen verstehen, insbesondere in patriarchalischen und frauenfeindlichen Bewegungen wie der Alt-Right. Außerdem müssen die Stimmen der Frauen bei der Gestaltung von Programmen zur Radikalisierungsbekämpfung und zur Deradikalisierung berücksichtigt werden.

Das Thema Gender im gewaltbereiten Extremismus und bei der Bekämpfung des gewaltbereiten Extremismus zu berücksichtigen bedeutet jedoch viel mehr, als lediglich die Rolle der Frauen anzuerkennen, wie Emily Winterbotham, Katherine Brown und ich in einem neuen Buch erläutern.

Dieses Buch mit dem Titel Countering Violent Extremism: Making gender matter ist das Ergebnis von Untersuchungen, die 2015 und 2016 in Deutschland, Frankreich, Kanada, den Niederlanden und im Vereinigten Königreich zu den geschlechtsspezifischen Dynamiken im Rechtsextremismus und im islamistischen Extremismus sowie zu Möglichkeiten, diesen entgegenzuwirken, durchgeführt wurden. Rund 250 Menschen aus lokalen Communitys haben ihre Ansichten zu dieser Arbeit beigesteuert.

In diesem Buch bringen wir vier Argumente vor. Erstens: Beim Thema Gender geht es um Macht, was heißt, dass Männer und Männlichkeitsbilder genauso berücksichtigt werden müssen wie Frauen. Die geschlechtsspezifischen Dynamiken formen und strukturieren gewaltbereite extremistische Organisationen und Bewegungen, angefangen bei den Rollen, die Frauen und Männer – gewaltbereit oder nicht – einnehmen dürfen, bis hin zu den Wertsystemen, die sie annehmen, und den Botschaften, die sie verbreiten.

Geschlechtsspezifische Dynamiken wirken sich beispielsweise auf die Orte aus, die für die Rekrutierung von Männern und Frauen gewählt werden, sowie auf die gesellschaftlichen Erwartungen, die auf ihnen lasten; außerdem überschneiden sie sich mit den Dynamiken in den Bereichen Status, Ethnie und Religion und führen so zu spezifischen Einstellungen und Verhaltensweisen, die extremistische Gruppen manipulieren können.

Zweitens: Unterschiedliche ideologische Herausforderungen erfordern unterschiedliche Reaktionen. Dies ist von zentraler Bedeutung, da wir heute vor neuen Herausforderungen stehen. Dazu zählt seit einigen Jahren in zunehmendem Maße der gewaltbereite Rechtsextremismus – ein Oberbegriff, der eine ganze Bandbreite von Ideologien umfasst, wie etwa Ideologien zur Überlegenheit der Weißen, Islamfeindlichkeit, Neonazismus usw. Für EntscheidungsträgerInnen in der Politik und PraktikerInnen ist es verlockend, bestehende geschlechtsspezifische P/CVE-Maßnahmen auf neue Bedrohungen zu übertragen, insbesondere da die Bedeutung von Männlichkeitsbildern offensichtlicher geworden ist.

Frauenfeindlichkeit ist die ausdrückliche ideologische Grundlage neuer Bewegungen, (u. a. Incel, Alt-Right oder Proud Boys). Zwischen den geschlechtsspezifischen Normen von islamistischen und rechtsradikalen Bewegungen wurden teilweise Parallelen gezogen. Unsere Forschungen haben jedoch gezeigt, dass sich diese geschlechtsspezifischen Ideologien unterscheiden, was ihren Bezug zu den allgemein verbreiteten Normen in den westlichen Gesellschaften angeht. Und vor allem ist die Logik von P/CVE-Praktiken – hinsichtlich Partnerschaften, Bereichen, Communitys, Glaube und Orten – in Bezug auf eine islamistische Radikalisierung nicht auf rechtsextremistische Gruppen anwendbar.

Dies zeigt sich ganz deutlich bei geschlechtsspezifischen P/CVE-Praktiken, bei denen häufig mit Müttern gearbeitet wird, um ein Empowerment und eine Integration dieser Frauen zu erreichen.

Drittens: Eine Kontrolle und Evaluation des Themas Gender ist von zentraler Bedeutung. Seit der Resolution 2242 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen kann das Thema Gender in politischen Dokumenten, in Gesprächen zur Finanzierung und bei Diskussionen zu P/CVE nicht mehr ignoriert werden. Es gibt allerdings nicht viele Informationen dazu, welche geschlechtsspezifischen Programme Wirkung zeigen oder weshalb. Dies ist aber von allergrößter Wichtigkeit, insbesondere da die Risiken einer geschlechtsspezifischen Terrorismusbekämpfung von WissenschaftlerInnen im Bereich Gender immer mehr betont werden. Eine Politik, die sich sowohl auf den Bereich „Frauen“ als auch auf „Gender“ erstreckt, kann jedoch auch negative Auswirkungen haben oder immer nach Schema F ablaufen. Wenn das Thema Gender weiter einbezogen werden soll – und das muss es – und auch auf Männer ausgeweitet werden soll, ist zu ergründen, wie negative Auswirkungen vermieden werden können.

Zu guter Letzt der vielleicht wichtigste Punkt: Bei geschlechtsspezifischen P/CVE-Reaktionen ist es notwendig, den Communitys, mit denen eine Interaktion stattfinden soll, gut zuzuhören und auf ihre Aussagen zu reagieren. Wir haben in unserer Untersuchung die Erfahrungen von Communitys dokumentiert, die das Thema Radikalisierung angehen wollten, aber die Art und Weise leid waren, wie die geschlechtsspezifische Politik bestimmte, vor allem muslimische Frauen stigmatisiert, geschlechtsspezifische kulturelle Praktiken anzweifelt, die ihnen wichtig sind, und Männer verteufelt. Sie waren frustriert, dass die Behörden und WissenschaftlerInnen sie nach ihrer Meinung fragen, sich letztendlich aber nichts ändert. Wir müssen anerkennen, dass diese Communitys nicht das Objekt von P/CVE-Maßnahmen sein können und dass „Zusammenarbeit“ heißt, dass die Art und Weise anzuerkennen ist, auf die Communitys Erfahrung und Wissen zu den zu Extremismus führenden Faktoren erlangt haben.

Der Internationale Frauentag findet einmal im Jahr statt. Geschlechtsspezifische Überlegungen müssen jedoch immer Teil unserer Denk- und Arbeitsweise bei der Terrorismusbekämpfung und P/CVE-Arbeit sein. In diesem Bereich tätige Männer und Frauen sind gleichermaßen dafür verantwortlich. Wenn wir den gewaltbereiten Extremismus bekämpfen und Communitys in ihren diesbezüglichen Bestrebungen unterstützen möchten, ist das Thema Gender wichtig. Und das bezieht sich nicht nur auf Frauen.

Dr. Elizabeth Pearson ist Dozentin an der Universität Swansea und hat sich auf die Bereiche Gender, Extremismus und Extremismusbekämpfung spezialisiert.

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